Die unsichere Lage am Aerodynamischen Institut in der Nachkriegszeit

Unser Kalenderbild des Monats November zeigt eine sorgfältig von Hand gezeichnete technische Skizze aus dem Archiv des Instituts für Aerodynamik der RWTH Aachen. Die Quelle ist bei uns unter der Signatur N14-03 zu finden. Die wissenschaftliche Grafik widmet sich vor allem der Grundlagenforschung in der Mechanik und stellt die Erforschung von Strömungsvorgängen bei hohen Geschwindigkeiten dar. Sie entstand nach dem Zweiten Weltkrieg in den Jahren 1945-1946. Die Skizze gibt einen Einblick in die schwierige universitäre Nachkriegssituation und zeigt, mit welch einfachen Mitteln der damalige Universitätsbetrieb kurz nach dessen Wiederaufnahme organisiert wurde. Sie stammt aus einer unsicheren Zeit, in der nicht klar war, ob und in welchem Umfang das Institut seine Arbeit fortsetzen würde. Denn insbesondere in den Weltkriegsjahren 1941-1944 war das Aerodynamische Institut in Aachen massiven Luftangriffen ausgesetzt und wurde schließlich nach Sonthofen im Allgäu verlegt. Zudem wurde kurz nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs die Forschung auf dem Gebiet der Aerodynamik in Deutschland verboten. Aufgrund der großen Entfernung zwischen Sonthofen und Aachen fand in den Jahren 1945/46 ein intensiver und reger Briefwechsel zwischen den beiden Institutsstandorten statt. Prof. Dr. Friedrich Seewald (1895-1974), der damalige Direktor des Aerodynamischen Instituts in Aachen, stand in diesen beiden Jahren in regelmäßigem Briefkontakt mit seinen Kollegen in Sonthofen. In einem seiner zahlreichen Briefe fügte er auch die vorliegende Skizze aus dem Forschungsbereich Mechanik über Strömungsversuche an verschiedenen Messgeräten bei. Nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges war es Seewald ein großes Anliegen, die aerodynamische Forschung an den Hochschulen wieder aufzunehmen bzw. weiter auszubauen (https://www.aia.rwth-aachen.de/der-lehrstuhl/historisches/).

Deshalb unterhielt er bis zur vollständigen Rückverlegung des Instituts nach Aachen im Jahre 1947 – trotz Kommunikations- und Sprachbarrieren – eine ständige und kontinuierliche Korrespondenz mit Sonthofen. Da Sonthofen (wie das gesamte Westallgäu) nach dem Zweiten Weltkrieg unter französischer Besatzung und Aachen unter britischer Militärregierung stand, erfolgte der schriftliche Forschungsaustausch neben Deutsch auch in Französisch und Englisch. Diese technische und forschungsrelevante Skizze der damaligen Zeit ist vor allem vor diesem historischen Hintergrund interessant und aufschlussreich, da das Wissenschaftsgebiet der Mechanik damals nur einem sehr kleinen Personenkreis zugänglich war. Dies, obwohl gerade für den (schnellen) Wiederaufbau in der Nachkriegszeit eine allgemeine Zugänglichkeit zu Mechanik und Technik wichtig war. Dabei ist zu berücksichtigen, dass während der Besatzungszeit zwischen 1945 und 1949 die jeweiligen Militärregierungen großen Einfluss auf die Lehrinhalte des Aerodynamischen Instituts der RWTH (wie auch auf alle universitären Einrichtungen) hatten. Darüber hinaus ist diese Skizze ein wichtiges zeitgenössisches Dokument der Nachkriegszeit, das uns deutlich vor Augen führt, wie einfach eine wissenschaftliche Zeichnung ohne technische oder elektronische Hilfsmittel erstellt werden konnte. 

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