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Erinnerungen von Zeitzeugen |
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Interview mit Maria Linden, Mai 2003 |
„Was
haben Sie studiert und wo?“ |
„Im April 1968 kam ich als 20jährige Studentin aus Bonn
nach Aachen, um an der damaligen PH mein Lehramtsstudium mit dem
dritten Semester fortzusetzen.“ |
- 1968er: |
„Haben
Sie die Studentenunruhen von 1968 in Aachen selbst miterlebt?“ |
„Obwohl
ich eine überzeugte Linke war, habe ich an der politischen
Szene in Aachen nie teilgenommen. Sie schien mir damals, aus Bonn
kommend, zu uninteressant.“ |
„An
welche Aktivitäten erinnern Sie sich?“ |
„Ich
erinnere mich an die Demos zur Notstandsgesetzgebung in Bonn (und
Berlin).“ |
„Was
waren Ihre Eindrücke davon?“ |
„Es
war ein schönes „Gefühl“, links zu sein, man
gehörte dazu, war eine von ganz vielen. Wir fühlten uns
sehr stark und empfanden uns als einflussreich durch unsere „moralische
Überlegenheit“, und auch durch unsere Jugend. Beides
drückt sich in einem der damaligen Slogans gut aus: ’Benda,
wir kommen, alle aus dem Osten.’ “
(Ernst Benda war 1968-69 Bundesinnenminister, Anm. d. Red.) |
„Wie
verhielten sich die Professoren?“ |
„Mein
Wahlfach war Geschichte / Politische Bildung, mein Professor war
Prof. J. Erger. Ihm habe ich viel zu verdanken. Er hat mit uns diskutiert,
er hat uns ernst genommen, er hat seine Position erläutert,
er hat unsere Angriffe und Aggressionen ausgehalten und sie offenbar
nicht persönlich genommen. Seine Missbilligung unserer Thesen
war nur an seinem Stirnrunzeln abzulesen. Er war ein vorbildlicher
Lehrer. Trotz meiner Voreingenommenheit und meiner ideologischen
Weltsicht hat er mich unerschütterlich gefördert.“ |
„Inwiefern
wurden die Lehrveranstaltungen auf die Proteste abgestimmt?“ |
„Die
Lehrveranstaltungen bei Prof. Erger zur jüngeren deutschen
Geschichte eigneten sich alle zur aktuellen politischen Diskussion
und wurden auch dazu genutzt. Daneben gab es allerdings auch, etwa
bei Professor Drees, „politisch harmlose“ Lehrveranstaltungen,
zum Beispiel zur Struktur der Gesellschaft im Mittelalter, in denen
nichts passierte, einfach, weil man mit ihm nicht streiten konnte.
Ganz zu schweigen von den übrigen Fächern (Philosophie,
Soziologie, Pädagogik, Deutsch und Kunst), in denen ich die
Professoren eher als unpolitisch in Erinnerung habe.“ |
-
Studentenleben: |
„Wie
sah Ihr persönlicher studentischer Alltag aus?“ |
„Lange
schlafen, zur PH gehen, wenig essen (wenig Geld), abends in eine
Pinte (Lennet Kann, Charly).“ |
„Wie
war die Wohnsituation?“ |
„Dazu
kann ich eine Geschichte erzählen: Als ich 1968 mit meiner
Cousine nach Aachen kam, wohnten wir im Sommersemester in einer
Zwei-Zimmer-Wohnung (Wohnzimmer, Schlafzimmer, Küche, Bad)
in einem Hinterhof am Adalbertsteinweg, Herrenbesuch war untersagt.
Am letzten Wochenende des Semesters fuhr ich mit meinem damaligen
Freund (Student der Eisenhüttenkunde) zum Segeln und Zelten
ans Ijsselmeer. Da es kühl war, nahm ich eine Wolldecke vom
Bett mit. Unsere Wirtin kontrollierte offenbar in unserer Abwesenheit
unsere Wohnung und hatte das bemerkt. Ihre Sanktion war folgende:
Ich hätte sofort auszuziehen, andernfalls würde sie meine
Eltern (damals war man erst mit 21 volljährig) über meinen
unmoralischen Lebenswandel in Kenntnis setzen. Also zog ich aus
und verbrachte die letzten drei Tage des Semesters im Hotel am Lousberg.
Das war ein hoher Preis für unterschiedliche Vorstellungen
von Schicklichkeit bei einem Monatswechsel von 320 DM (Honnefer
Modell).
Ein Jahr später war die Wohnsituation deutlich verändert.
Meine Cousine war wieder nach Bonn gezogen. Diesmal hatte ich meine
ältere Schwester mit nach Aachen gebracht. Nach einem kurzen
Intermezzo in einer Wohnung in der Königstraße, in der
wir nur gehen konnten, wenn wir die beiden Schrankbetten eingeklappt
hatten, bezogen wir eine Spitzenwohnung in der Lousbergstraße,
eine Wohnung, die man nur durch Mund-zu-Mund-Propaganda bekommt
und in der ich bis zu meinem Examen und noch länger wohnen
blieb. Diese Wohnung war im Haus der Aachener Malerin Burgi Kühnemann,
bei der wir uns den Staubsauger leihen konnten und der ansonsten
alles egal war, was wir machten.
Sie hatte sogar ein kleines Gärtchen. Wenn wir morgens die
Tür öffneten, konnten wir in hoher Lautstärke Beethovens
9. Sinfonie hören, die unser Nachbar bevorzugt zum Frühstück
auflegte.“ |
„Wie
sah Ihre Arbeitsbelastung aus?“ |
„Sehr
gering. Ich kann mich nur daran erinnern, dass ich fürs Examen
gelernt habe. Auch meinen Job als Hiwi konnte ich bestens nebenher
erledigen. Es war offenkundig, dass ich als Studentin viel geringer
belastet war als meine Schwester, die damals als Kindergärtnerin
gearbeitet hat. Sie war deshalb häufig neidisch auf mein schönes
Leben.“ |
„Wie
ist das Verhältnis der damaligen Studierenden zur Stadt bzw.
den Bürgern zu charakterisieren?“ |
„Ich
glaube, es gab keines.“ |
„Welche
Freizeitaktivitäten haben Sie wahrgenommen?“ |
„Da
ich überhaupt kein Geld hatte, war die Aufnahme von Aktivitäten
deutlich eingeschränkt. Ich kann mich auch nicht an preisgünstige
Freizeitangebote für Studenten erinnern. Wir haben zusammengesessen
und geredet. In meiner Zeit in der Lousbergstraße war ich
viel mit Architekturstudenten zusammen. Herumsitzen, einen Joint
rauchen und die entsprechende Musik hören war für viele
damals normal. Nicht normal war es, keine Drogen zu nehmen. Insofern
war ich nicht normal, ich hatte immer das Gefühl, mich damit
als ein Mädchen vom Land zu outen.
Ich erinnere mich an eine Ferienreise nach Porec in Jugoslawien,
die von der PH veranstaltet wurde, an der auch Jürgen Möllemann,
der damals an der PH Münster studierte, teilnahm. Im sozialistischen
Jugoslawien war es für jemanden ohne Geld sogar möglich,
Wasserski zu fahren. Ich erinnere mich auch an eine Fahrt mit dem
Bus nach Prag im Februar, auch von der PH organisiert. Meine Freundin
und ich lernten auch einen älteren Herrn kennen, der uns am
Rathaus in Prag auf Deutsch ansprach und uns durch die Stadt führte.
Am Ende des Tages zeigte er uns eine KZ-Nummer am Arm.
Wir haben an der PH im Sommer 1969 Theater gespielt. Regisseur war
Helmut Homann, ein begabter, etwas verrückter Student mit Hauptfach
Deutsch. Der Hauptdarsteller war ein schauspielerisches Naturtalent.
Hubert Crott, der später seine Karriere im Karneval machte
und heute in Aachen als Jüppchen von „Josef, Jupp und
Jüppchen“ auf der Bühne steht. Weitere Darstellerinnen
waren Monika Frenzen, die heute Oberbürgermeisterin von Mönchengladbach
ist, und Irmhild Hölscher, heute Frau des AKV-Präsidenten.
Wir haben monatelang „Brodski“, ein Stück über
einen jungen Anarchisten, geprobt. Die Proben waren so spannend
und bewegend, dass ich mich an die Aufführung selbst dann nicht
mehr erinnern kann.“ |
„Gab
es herausragende Erlebnisse des Studentenlebens allgemein?“ |
„Das
herausragende Ereignis war 1969 (?) das Popfestival in der Aachener
Soers mit dem Auftritt von Deep Purple. Viele reisten damals von
Popfestival zu Popfestival. Ich war im gleichen Jahr noch drei Tage
bei dem Popfestival in Rotterdam (oder war es Amsterdam?). Auf dem
Weg dorthin haben wir in einer als Jugendkulturtreff umgebauten
riesigen Kirche in den Niederlanden die Landung auf dem Mond angesehen.“ |
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