Debatten um die Standortbestimmung und Identitätsfindung
Von Beginn an stand die Frage nach der Ausrichtung der Philosophischen Fakultät im Mittelpunkt der Diskussionen. Dabei hatten Hochschule und Ministerium jeweils eigene Vorstellungen, welchem Schwerpunkt die Geisteswissenschaftliche Ausbildung gerecht werden sollte. Von der Hochschule in erster Linie als sinnvolle Ergänzung der Natur- und Ingenieursfächer gedacht, stand für das Ministerium die Entlastung der Lehrerausbildung an den anderen Universitäten Nordrhein-Westfalens im Mittelpunkt. Die Mitglieder der Philosophischen Fakultät vertraten eine Position, die die beiden Standpunkte miteinander verbinden und gleichzeitig die Eigenständigkeit der Fakultät hervorheben sollte:
“Diese Fakultät muss so beschaffen sein, dass sie a) in sich als Philosophische Fakultät bestehen kann, b) ihren spezifischen Aufgaben der Ergänzung der Natur- und Ingenieurwissenschaften in Richtung auf die Probleme des Humanen hin gerecht zu werden.”
Hans-Martin Klinkenberg: Entwurf zum Ausbau der Philosophischen Fakultät an der RWTH Aachen, 1965 (12053)
“Ich stimme mit Ihnen […] völlig überein, daß es nicht damit getan sein kann, sich mit der Existenz als Lehrerausbildungstätte oder als Phil.Fak. zweiten Ranges (im Vergleich mit anderen im Lande) zu begnügen – die Verbindung mit der Technik muss als Positivum gesehen werden”
Hartmut Galsterer (Lehrstuhl für Alte Geschichte 1985-1992) an Klinkenberg, 1984 (Nachlass Klinkenberg 21)
Die Geschichte der Philosophischen Fakultät an der RWTH Aachen hatte, wie nicht anders zu erwarten, Höhen und Tiefen. Drei Jahre nach der Gründung der Philosophischen Fakultät mussten erste Missstände festgestellt werden (Bericht über die Lage der Philosophischen Fakultät vom 08.11.1968: N 0106). So stand die Anzahl der vorhandenen Lehrkräfte in keinem Verhältnis zu den angebotenen Veranstaltungen. Die räumliche Situation der einzelnen Institute wurde aufgrund baulicher und räumlicher Mängel als äußerst bedenklich eingestuft. Daneben herrschte ein allgemeiner Fachkräftemangel, der eine angemessene Forschungsausübung massiv erschwerte.
1974 beschloss der Senat, den Ausbau der Fakultät zu stoppen (Protokoll der Senatssitzung vom 20.06.1974: ZHV 2/5ak_1). 1982 stellte einen Wendepunkt bei den Expansionsplänen der Philosophischen Fakultät dar, nachdem die Landesregierung NRW im Zuge von Sparmaßnahmen eine Reduktion der bereitgestellten Gelder beabsichtigte. Problematisch war zudem die verbreitete Auffassung an der Hochschule, die Philosophsiche Fakultät müsse sich den naturwissenschaftlich-technischen Fächern unterordnen (Antrag der Philosophischen Fakultät zur Senatssitzung vom 27.05.1982: 9035).
1987 versuchte die Landesregierung ihre Pläne zu verwirklichen. Sie beabsichtigte, einen Großteil der “technikfernen” Lehramtsstudiengänge wie Philosophie, Geschichte oder Pädagogik zu kürzen oder einzustellen. Gegen diese umfangreiche geplante Kürzung der Studienmöglichkeiten entwickelte sich jedoch massiver kollegialer wie studentischer Widerstand (Offener Brief der Dekane der RWTH an die Landesregierung Nordrhein-Westfalen vom 10.07.1987: 23016). So protestierten am 1. Dezember 1987 insgesamt 15000 Teilnehmer gegen die Schließung der Fakultät. Die Landesregierung verzichtete in den folgenden Jahren auf die vollständige Umsetzung der Pläne; bei der Feier zum 25-jährigen Bestehen versprach Wissenschaftsministerin Anke Brunn sogar: “Über die Existenz der Philosophischen Fakultät brauchen Sie sich die nächsten 125 Jahre keine Sorgen zu machen.” (Artikel aus der AVZ vom 21.06.1990: 10294)