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Die
"Polytechnische Schule" |
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Im
ersten Jahrzehnt seines Bestehens war das Polytechnikum eine Art
Zusammenschluss mehrerer "Schulen" unter einem Dach. Drei Fachschulen
(Ingenieurwesen, Maschinenbau, Chemische Technik) standen neben
einer einführenden "Allgemeinen Schule". Hier wurde technisches
Grundlagenwissen, Mathematik und Naturwissenschaften, Nationalökonomie
und "gewerbliche Betriebslehre", dann auch Philosophie oder Literatur
gelehrt. Erster Direktor und zugleich geistiger Vater der Verfassung
vom 20. April 1870 war August von Kaven. Seit Mai 1873 galt eine
erste preußische Diplom-Prüfungsordnung. Bereits 1872 wurden erste
bauliche Erweiterungen erforderlich, 1875 zählte man schon 450
eingeschriebene Studenten. |
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August
von Kaven |
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Bestallurkunde
August von Kavens |
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Das
Verhältnis von Stadt und Polytechnikum |
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Die
erhofften wirtschaftlichen Vorteile für Aachen und die Region
blieben in den Anfangsjahren der Hochschule im Großen und
Ganzen aus. Zwar entwickelten sich rasch Kontakte zwischen Hochschule
und Stadt, zwischen Dozenten und Persönlichkeiten des Wirtschaftslebens.
Sie konnten aber nicht darüber hinweg täuschen, dass die TH zunächst
vor allem Kosten verursachte. Der mit der wirtschaftlichen Gründerkrise
der 1870er Jahre zusammenfallende "Kulturkampf" trug wenig dazu
bei, das Vertrauen der katholischen Aachener Bevölkerung in Institutionen
des preußischen Staates zu stärken. Ausgerechnet Direktor von
Kaven polemisierte öffentlich gegen das "ultramontane" Aachen,
und studentische Verbindungen unterstützten lautstark die preußische
Kulturkampfgesetzgebung. |
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Diskussionen
über den Status der Polytechnika |
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Bereits
seit Jahren waren intensive Diskussionen über akademischen Charakter,
Organisation und Verwaltung nicht nur der neuen Aachener Bildungsanstalt
geführt worden - sie betrafen die Polytechnika insgesamt. Deren
ungeklärter Status zwischen wissenschaftlichen Universitäten,
Gewerbe- und Handelsschulen und "Akademien" musste auf Dauer unbefriedigend
bleiben. So waren sie zum Beispiel dem preußischen Handelsministerium
unterstellt, nicht wie "ordentliche" Universitäten dem Kultusminister.
Aachens "Direktoratsverfassung" mit einem ständigen Direktor entsprach
nicht den Prinzipien universitärer Selbstverwaltung. Nach 1875
gingen die Studentenzahlen in Aachen merklich zurück. Die ungeklärten
Verhältnisse spielten dabei sicher eine Rolle, und die seit 1873
um sich greifende wirtschaftliche Depression tat ihr Übriges.
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"Entscheidungsjahr"
1879 |
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Zwei
Ereignisse des Jahres 1879 standen schließlich hinter der Umwandlung
der Aachener "Polytechnischen Schule" zur "Technischen Hochschule".
In Berlin-Charlottenburg verschmolzen die alte Bau- und die Gewerbeakademie
zur "Königlich Technischen Hochschule": Ihre Verfassung trug deutlich
universitäre Züge. Die preußischen "Technischen Hochschulen" unterstanden
fortan - wie auch alle Universitäten - dem Kultusministerium.
Der jahrzehntelang schwelende Kompetenzkonflikt zwischen Handels-
und Kultusministerium, mitverantwortlich für den lange ungeklärten
Status der bisherigen Polytechnika, war von Reichskanzler Bismarck
endlich beigelegt worden. |
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Von
der "Schule" zur "Hochschule" |
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Die
Technische Hochschule in Berlin-Charlottenburg stand Pate bei
der Neuorganisation der Aachener Anstalt. Wichtige Merkmale deren
universitätsähnlicher Verfassung - wählbares Rektorat, Abteilungsgliederung,
kollegialische Selbstverwaltung - fanden sich auch im ab 1880
gültigen Aachener Gegenstück. Seit dem gleichen Jahr firmierte
das Aachener Polytechnikum unter dem Titel einer "Königlichen
Technischen Hochschule". Ein jeweils für eine beschränkte Amtszeit
vom "Senat" gewählter Rektor trat an die Stelle des ursprünglich
vom Handelsministerium auf Lebenszeit eingesetzten Direktors von
Kaven. Die Übernahme universitärer Rechts- und Organisationsstrukturen
bedeutete eine klare wissenschaftliche und soziale Aufwertung
der Aachener Institution. |
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Ein
neues Selbstverständnis |
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Anfang
der 1880er Jahre hatten die Studentenzahlen einen die Existenz
der Hochschule gefährdenden Tiefstand erreicht. Zugleich markierten
die Verfassungsreform und der neue Status als "Hochschule" gewissermaßen
eine Trendwende. Mit der rechtlich-organisatorischen Annäherung
an die Universitäten wandelten sich auch die Vorstellungen über
die Rolle der Hochschule. Die Teilnahme an der Düsseldorfer Gewerbeausstellung
im Jahre 1880 stand am Beginn erster Auftragsforschungen. Allmählich
trat man aus der rein deskriptiven Vermittlung technischen Wissens
heraus, stellte Stadt und Wirtschaft die eigene technische Sachkompetenz
zur Verfügung, verstärkte Wissenschaft und Forschung. Auch vom
Selbstverständnis her näherte man sich schrittweise den klassischen
Universitäten an. |
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Hörsaal |
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Mit
Amtstracht und Barett |
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Die
letzte Stufe der akademischen Rangordnung erreichte die Aachener
TH mit der preußischen Habilitationsordnung vom 24. April 1884.
Die Amtsbezeichnung "etatsmäßiger" Professor (1892), das Recht
auf Amtstracht und Barett (1893), ein Sitz für Professor Otto
Intze im Preußischen Herrenhaus (1898): das waren Schritte auf
dem Wege der Emanzipation der "Ingenieurprofessoren". Als Amtszeichen
durften die Rektoren der preußischen THs seit 1897 eine goldene
Kette mit Medaille tragen, seit dem 27. Januar 1903 schließlich
den Titel "Magnifizenz" führen. All dies blieb nicht ohne Folgen
für die soziale Reputation, hatten doch Titel in der Gesellschaft
des Kaiserreiches eine besondere Relevanz. |
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Doktoren
und Diplomingenieure |
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Auf
das Promotionsrecht, eine entscheidende Stufe hin zur eigenständigen
wissenschaftlichen Entwicklung, musste die Technische Hochschule
lange warten. 1899 erteilte Wilhelm II. aus Anlass der Jahrhundertfeier
der Berliner "Kgl. Bauakademie" als Vorläuferin der dortigen TH
den preußischen Technischen Hochschulen die Befugnis, die Titel
eines "Doktor-Ingenieurs" und Diplomingenieurs verleihen zu können.
Im Juli 1902 trat dann eine für Preußen einheitliche Promotionsordnung
in Kraft, der sich weitere Staaten anschlossen. Zeitgleich schuf
man mit dem akademischen Grad eines "Diplomingenieurs" einen eigenständigen,
zur selbständigen beruflichen Tätigkeit qualifizierenden technischen
Studienabschluss. |
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Erste
Dissertationsschrift |
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Ministerbrief |
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Inneres
und äußeres Wachstum |
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Die
strategische Bedeutung des Promotionsrechts und der akademischen
Aufwertung des "Diplomingenieurs" für die TH erhellen die Studentenziffern.
1891 zählte sie 223, im Jahre 1895 knapp 300 Studenten. 1902 betrug
die Zahl der Studenten 828, hatte sich also in einem Jahrzehnt
fast vervierfacht. Wachsender Studentenzulauf, Erweiterungen des
Fächerkatalogs und Einrichtung neuer Lehrstühle machten die bauliche
Ausdehnung der Hochschule notwendig. Verfügbare Freiflächen waren
im von Bahnanlagen und Wohnbebauung begrenzten Hochschulareal
bald ausgeschöpft. Erst nach der Verlegung des Bahnhofs "Templerbend"
ab 1906 - der neue "Westbahnhof" wurde erst 1910 eröffnet - konnte
ein effektives Flächenwachstum der TH erfolgen. |
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Stadtansicht |
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Die
ersten Studentinnen |
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In
der männlich dominierten Gesellschaft des Kaiserreiches,
die die Frau auf die Rolle als „Hausfrau und Mutter“
beschränkt wissen wollte, trafen Forderungen nach Zulassung
von Frauen zum Hochschulstudium auf hartnäckigen Widerstand.
Erst um die Jahrhundertwende öffneten die deutschen Länder
zögerlich ihre Universitäten für Studentinnen,
die zumeist auf ausgewählte Fächer (Medizin und Geisteswissenschaften)
beschränkt blieben. Das Königreich Preußen folgte
erst im Jahre 1908. Zum Studienjahr 1909/10 immatrikulierten sich
mit Gertrud Conzen und Maria Fleuster die ersten Frauen am Aachener
Polytechnikum. Ihnen folgten bis Ende 1918 29 weitere Studentinnen,
darunter 1913/14 Maria Savelsberg, die hier 1918 als erste Frau
ihre Doktorprüfung abschloss. |
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Am
Ende des Kaiserreiches |
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Kurz
vor ihrem 50. Geburtstag hatte die TH eine schwierige Wegstrecke
erfolgreich hinter sich gebracht. Aus dem Polytechnikum war eine
hochfrequentierte Technische Hochschule geworden. Mit anderen
Hochschulen Deutschlands hatte man eine anerkannte, praxisorientierte
technische Ingenieurwissenschaft entwickelt. Die Angleichung an
die Universitäten war mit Diplom-, Promotions- und Habilitationsordnung
fast erreicht. Aus Stadt und Region war die TH inzwischen als
positiver "Standortfaktor" nicht mehr wegzudenken, Wirtschaft
und Wissenschaft profitierten voneinander. 1913 ernannte die TH
den technikbegeisterten und steten Förderer Wilhelm II. zum "Dr.
Ing. h.c.", war man doch dem Königshaus seit den Gründungstagen
eng verbunden. |
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Die
Technische Hochschule im I. Weltkrieg |
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Begeistert
begrüßte die Mehrzahl der vielfach in Korporationen und Verbindungen
organisierten Studenten den Kriegsausbruch. Die weitgehend preußisch-national
gesinnte Professorenschaft stand dabei nicht abseits. Etwa 300
Studenten zogen freiwillig "ins Feld", bis Kriegsende blieben
über 200 Hochschulangehörige dort. Ein ordnungsgemäßer Studienbetrieb
wurde unter Kriegsbedingungen immer schwieriger: Studierende und
Dozenten standen im Kriegseinsatz, Maschinen und Materialien wurden
als "kriegswichtig" beschlagnahmt. 1916 führte man ein sogenanntes
"Notstudium" ein. Am Kriegsende hatte die national gesinnte, aber
kaum politisch-militärisch entscheidungsbefugte Ingenieurszunft
schließlich beträchtlich an Prestige verloren. Der Glaube der
Bevölkerung an Sieg und Überlegenheit deutscher Technik hatte
sich nicht erfüllt. |
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Soldaten
1914 |
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