Weststadt statt Weltstadt: Hochschulstandort in der Krise. Der Erste Weltkrieg und das nahe Ende der RWTH

Dr. Mathias Mutz, wissenschaftlicher Mitarbeiter am Lehr- und Forschungsgebiet Wirtschafts-, Sozial- und Technologiegeschichte der RWTH, hat für seinen Aufsatz: “Hochschulstandort in der Krise. Der Erste Weltkrieg und das nahe Ende der RWTH”, der in dem Sammelband “Weststadt statt Weltstadt. Aachens Grenzerlebnisse 1914-29” der AKV-Sammlung Crous (Aachen 2014) im Hochschularchiv recherchiert und uns ein Belegexemplar zukommen lassen. Der Aufsatz bereichert die bisher aufgearbeitete RWTH-Geschichte um ein Kapitel, das wir gerne detaillierter vorstellen möchten:

Wenn man sich die Größe und Bekanntheit der RWTH heute ansieht, würde man nicht auf die Idee kommen, dass die Technische Hochschule nach dem Ersten Weltkrieg  kurz vor dem Aus stand. Vor dem Ausbruch des Ersten Weltkriegs konnte die RWTH über Studentenmangel nicht klagen. Mit 815 Studierenden war das Wintersemester 1913/14 eines der studentenreichsten Semester in der Geschichte der noch jungen Hochschule. Grund dafür war unter anderem die hohen staatlichen Zuschüsse sowie die Zuwendung finanzstarker Mäzene, die sich auf eine kleinere Anzahl Studierender verteilte, als an anderen Technischen Hochschulen im Reich. Das gesteigerte gesellschaftliche Interesse an Technik führte zu Mehrausgaben und bereitete die Technisierung der Kriegsführung im Ersten Weltkrieg vor. Dies mag auch erklären, wieso Professoren in der allgemeinen Kriegsbegeisterung 1914 dazu aufriefen, sich zum Frontdienst zu melden. Diesem Aufruf folgten die Studenten auch in großer Zahl. Doch nicht nur das Humankapital der RWTH sollte für die Kriegsbestrebungen des Deutschen Reiches genutzt werden. Ersatzlegierungen für Platin und Aluminium wurden an der RWTH erforscht und finanzielle Investitionen in Form von Kriegsanleihen wurden getätigt. Auch die Gebäude der Hochschule wurden für den Krieg, in Form von Lazaretten, genutzt und vom Hochschulpersonal mit einem Sanitäts -und Pflegedienst geführt. (Zum Ersten Weltkrieg siehe auch unsere Ausstellung und die Magisterarbeit von Johanna Zigan.)

Nach dem Ersten Weltkrieg befand sich die Technische Hochschule am Scheideweg. Einerseits kämpfte man um die Gleichstellung mit den Universitäten, andererseits musste man mit den Besatzungstruppen, die auch Gebäude der Hochschule besetzten, umgehen. Das Verhältnis zwischen der Hochschule und den Besatzern war gespannt und von Schikanen der Besatzungstruppen geprägt. Drei von fünf TH-Abteilungen wurden von belgischen Besatzungstruppen beschlagnahmt, an einen normalen Hochschulalltag war nicht mehr zu denken. Der Unterricht wurde dank dem Engagement des Rektors, Friedrich Klockmann, provisorisch wieder aufgenommen. Erst Anfang 1920 konnte die TH eine „Befreiung“ der Hochschulgebäude vermelden. Nun konnte man sich auch eingehend der Aufwertung der Hochschule widmen. Die militärtechnologischen Möglichkeiten hatten den Wert der technischen Fächer offenbart, das Interesse an diesen war ebenso wie der Bedarf an Ingenieuren gestiegen. Daher war eine Neuausrichtung des technischen Bildungswesens unerlässlich. Das Studienangebot wurde um die gesellschaftswissenschaftlichen Fächer, respektive Geschichte und Soziologie, erweitert, um eine Diversifizierung des Themenspektrums zu bieten und den technisch geprägten Studenten eine Horizonterweiterung zu ermöglichen. Der Reformversuch, der als „Aachener Vorstoß“ in die Geschichte eingehen sollte, umfasste die Umstrukturierung der Hochschule in sechs Fakultäten sowie eine stärkere Einbeziehung der Studenten und wissenschaftlichen Mitarbeiter. Die Reformen kamen allerdings ins Stocken. Kurzzeitig dachte man im preußischen Kultusministerium sogar ernsthaft über die Schließung der Technischen Hochschule nach. Erst die wachsende Bedeutung als „Grenzhochschule“ und die damit verbundene Sonderrolle Aachens bewahrte die Technische Hochschule vor diesem Schicksal.

Einen letzten Konflikt musste die Hochschule mit 2.1.8_bder Stadt austragen. Es ging vor allem um die Beziehung der Stadt zur Hochschule und inwiefern diese bereit war, in die Hochschule bzw. die Schaffung eines für Studenten günstigen Klimas zu investieren. Es lief im Prinzip auf ein quid pro quo hinaus: Das Hochschulpersonal und die Studierendenschaft erhöhten die Kaufkraft, dafür erwartete man jedoch auch Gegenleistungen. Den Bau einer Mensa und die Gründung des AStA waren die Konsequenz. Auch die Belieferung der Technischen Hochschule mit Wasser, Strom und Gas zu Großkundenpreisen war ein Ergebnis dieser Einigung. Zusammenfassend lässt sich feststellen, dass die große Krise der Technischen Hochschule in Aachen auch gleichzeitig als Chance zu verstehen war. Obwohl das Überleben dieser Institution am seidenen Faden hing, schaffte man mit langfristiger Planung und Durchhaltewillen den Erhalt der Hochschule.

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